Wir machen uns stark für Frauen
Gesellschaftspolitisch, kirchlich und sozial engagiert vertreten wir die Interessen von Frauen.

Wolle die Wandlung!

« zurück

Bei der Restaurierung eines gotischen Kruzifixes aus dem ehemaligen Schottenkloster in Regensburg wurde im April 1991 eine erstaunliche Entdeckung gemacht: im Hinterkopf der Figur des Gekreuzigten fand man in einem Hohlraum ein Reliquiar in Schmetterlingsform. Es ist eine feuervergoldete Emailarbeit aus Silber, dargestellt sind Jesus, Maria und Johannes. Das gesamte Kunstwerk ist nicht größer als 3 mal 5 cm. Die Fühler des Schmetterlings sind dargestellt mit kleinen Perlen. Als Entstehungszeit des kostbaren Fundes nimmt man die Zeit um 1310/1320 an. Nicht nur die Schönheit fasziniert, sondern auch die Bedeutung in der Ver-bindung von Todesdarstellung und Schmetterlingsgestalt. Heute kann man das Reliquiar im Domschatz Regensburg anschauen (https://www.domschatz-regensburg.de/).

Schon im Altertum und in der Zeit der frühen Christen war der Schmetterling Sinnbild der Verwandlung vom Tod zum Leben. Bemerkenswert, dass das altgriechische Wort „psyche“ sowohl Seele, Hauch, Atem bedeutet, als auch Schmetterling. Der Schmetterling: Symbol der Unsterblichkeit und Metamorphose. Er steht für Freiheit, schwebende Leichtig-keit, vorübergehende Schönheit, Farbenreichtum, Zartheit, Verwandlung. Die Luft ist das tragende Element des Falters. 

Metamorphosen haben etwas Faszinierendes: aus einer kleinen unansehnlichen Raupe wird ein geflügeltes Kunstwerk. Im Schmetterling mit seinen vier Entwicklungsstadien Ei, Larve oder Raupe, Puppe und Imago (das ausgewachsene Tier) haben sich die Menschen früh schon wiedererkannt: Verpuppung, Erstarrung, Wandlung, Entfaltung als Phasen der Veränderung sind Metaphern, die sinnbildlich für das Erleben der Seele stehen. 

Wie der Schmetterling sind auch wir Menschen Verwandlungskünstler:Innen. Erinnern Sie sich daran, wie oft Sie sich schon gewandelt haben, welche Etappen es auf Ihrem Weg ge-geben hat, in welche neuen Rollen Sie hineingewachsen sind und auch wieder heraus-gewachsen. Manchmal sind es leise, stille, unspektakuläre Prozesse, kaum zu merken für die eigene Umgebung. Manchmal sind es große Veränderungen und Umbrüche, schmerzhaft und tränenreich, oft vielleicht auch ersehnt und erwartet.

Wolle die Wandlung! heißt es in einem Text bei Rilke. Nicht immer streben wir sie an, aber sie geschieht. Und wo sie nicht geschehen darf, da droht das Leben zu erstarren, zu versteinern. Lebendig sein heißt, Wandlungen anzunehmen. 

Das Schmetterlingsreliquiar zeigt: Auch das Geheimnis von Ostern ist das Geschehen einer Metamorphose: Der gewaltsame Tod Jesu durchbricht die Grenzen des Todes. Der grausame Schrecken ist nicht das Ende, sondern verwandelt sich in neues Leben, das Gott schenkt. So unser verwegener, verrückter Glaube. Der Verstand bleibt oft blind und unwissend vor dieser Verwandlung. Wir brauchen daher erhellende Bilder und Symbole, um das Unbegreifliche zu fassen. 

Sich wandeln lassen: offen sein für Neues, für mehr Leben, für neue Perspektiven. Wie bei der Raupe die starre Schale sprengen lassen, wenn es an der Zeit ist. Der Verheißung der Entfaltung trauen. Mir selbst die Zeit zur Entwicklung geben. Neue Möglichkeiten fallen nicht einfach vom Himmel, sie werden, indem ich mich zur Verfügung stelle und bereit bin zu wachsen. Bereit, mich zu verändern, oft unter Schmerzen, oft mit viel Geduld, oft ohne klare Vorstellungen, was werden soll. Hineinreifen in ein neues Stadium, im Vertrauen, dass es mich nicht isoliert vom Leben, sondern in eine neue, eine andere Freiheit führt. In die Be-weglichkeit und das „Flattern“ der Heiligen Geistkraft. Das ist die Verheißung der österlichen Festfreude.

„Lernt von den Schmetterlingen Gottesverehrung! Sie bleiben nicht auf Zäunen und Mauern.
Sie öffnen die Flügel und leben im Fluge.
Sie klatschen mit ihren Flügeln Gott Beifall.
Sie planen nicht Feste. Sie feiern im Fluge. Sie fliegen im Feiern!“[1]

Uns allen einen guten, beflügelten Weg auf Pfingsten zu!

Dr. Elisabeth Thérèse Winter

[1] aus: Martin Gutl, Der tanzende Hiob, © Karl Mittlinger.

 

10.05.2021
« zurück
Schriftgröße
Schriftgröße

Foto: Kunstsammlungen des Bistums Regensburg/Gerald Richter